Channel Apps
[Markdown] 

test: Home

Es gibt zwei Marks. Das Leben des einen Mark spielt vor blauen Stellwänden und bunten Flaggen. In Flugzeugen, die ihn von einer Hauptstadt zur nächsten bringen, um den Nato-Gipfel am 24. und 25. Juni vorzubereiten. Es spielt in fensterlosen, abhörsicheren Sitzungsräumen, vor ihm auf dem Tisch ein Namensschild, also wüsste hier nicht sowieso jeder, wer dieser Mann ist: Mark Rutte, Generalsekretär der Nato.

image

Der andere, der zweite Mark, taucht in den Glaspalästen und Konferenzzentren nie auf.

Der erste Mark, der Generalsekretär, steht im Zentrum eines weltpolitischen Dramas. Seit Russland die Ukraine überfallen hat, ist Europa mehr denn je auf den Schutz der Nato angewiesen. Doch seit Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump scheinen sich Europa und die Vereinigten Staaten als ideologische Gegner gegenüberzustehen. Bei dem Gipfel Ende Juni in Den Haag könnte sich entscheiden, ob es gelingt, die Zukunft der Nato abzusichern. Und das hängt auch von Mark Rutte ab.

Um zu erzählen, wer dieser Mark Rutte ist und wie er die Nato retten will, fängt man vielleicht besser nicht in Brüssel im Nato-Hauptquartier an, sondern beginnt mit einer Frau, die den Satz gesagt hat, mit dem dieser Text beginnt: Es gibt zwei Marks.

Sie heißt Roksana Manowska, ist 27 Jahre alt und nahe Katowice im Süden Polens aufgewachsen. Als sie 13 Jahre alt war, verließ der Vater die Familie, und ihre Mutter suchte sich Arbeit in den Niederlanden, in der Nähe von Den Haag, in einem Gewächshaus, "an den Tomaten", wie Roksana Manowska sagt. Ein Jahr später holte sie die Tochter nach. Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 26/2025. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen. Ausgabe entdecken

Roksana Manowska wurde am Johan de Witt College im Den Haager Stadtteil Schilderswijk eingeschult. Auch die anderen in ihrer Klasse kamen von weit her: aus der Türkei, aus Marokko, aus Ghana. Schilderswijk ist so etwas wie das Berlin-Neukölln von Den Haag. In den Migrationsdebatten der Niederlande wird dieses Viertel bis heute als Chiffre verwendet für alles, was tatsächlich oder vermeintlich schiefläuft, nicht zuletzt von dem Rechtspopulisten Geert Wilders.

image

Anfangs verstand die 14-jährige Roksana im Unterricht fast nichts. Die Nachmittage verbrachte sie in der winzigen Wohnung ihrer Mutter, hörte niederländische Musik und übersetzte die Songtexte, um die Sprache zu lernen. Für Politik interessierte sie sich nicht. Etwa ein Jahr später brachte ihr Geschichtslehrer einen fremden Mann mit in die Klasse. Groß und schlank war der, trug Anzug und Krawatte, sah irgendwie wichtig aus. Als er sich vorstellte, sagte er: Ich bin

Ihre Mitschüler, erinnert sich Roksana Manowska, waren wahnsinnig aufgeregt. Nach dem Unterricht drängten sie sich um den Mann und ließen sich mit ihm fotografieren. Irgendwann ging auch Manowska auf ihn zu. "Sind Sie berühmt?", fragte sie den Mann. "Nun ja", habe Mark Rutte geantwortet. "Ich bin Premierminister der Niederlande."

14 Jahre lang hat Mark Rutte die Niederlande regiert, in vier Koalitionen, mit Sozialdemokraten, Christsozialen, Liberalen, einmal toleriert von den Rechten. Er war einer der wichtigsten Regierungschefs der Europäischen Union, ein enger Vertrauter von Angela Merkel. Seine letzte Koalition zerbrach 2023, danach kündigte Rutte an, sich aus der niederländischen Politik zurückzuziehen. Bis zur Wahl 2024 blieb er geschäftsführend im Amt und bewarb sich im Stillen bei seinen Ex-Kollegen, den Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, um den Job als Nato-Generalsekretär.

In all dieser Zeit hat Mark Rutte jede Woche am Johan de Witt College unterrichtet. Selbst seitdem er im Oktober 2024 in Brüssel sein neues Amt angetreten hat, erzählt ein Vertrauter, verbringe Rutte seine Wochenenden meist in Den Haag. Und besuche immer noch regelmäßig die Schule.